Des Lebens Wagen – ein Oratorium von Hans Posegga

Beitrag von Wilfried Koch – Dirigent

Meine Zusammenarbeit mit Hans Posegga ergab sich durch eine kurzfristige Übernahme des Dirigats seines großen Oratoriums „Des Lebens Wagen“ Im Kloster Benediktbeuern. Die vorgesehene Dirigentin Alicia Munck war durch Mutterschaft ausgefallen. Die damalige Aufführung fand in der ersten Fassung statt, während die spätere Fassung für Bozen vom Komponisten für große Orchesterbesetzung erweitert wurde.

Nach dieser Aufführung war eine Fernsehaufführung im Teatron des Olympiageländes vorgesehen. Proben dafür waren alle bestens absolviert, das große Chorensemble war bereits am Ort des Geschehens, sämtliche Ü-Wagen der Fernsehtechnik waren in Stellung, als ein furchtbares Unwetter diese Open -Air Produktion unmöglich machte. Kurzerhand wurde die gesamte Mannschaft (großer gemischter Chor, Kinderchor, Jazzband, Orchester, sowie die vier Solisten) in den Kongreßsaal des Deutschen Museums umgeleitet, wo das Ganze konzertant, jedoch ohne Fernsehen stattfand.
Zu einem späteren Zeitpunkt erfolgte die Fernsehaufzeichnung in dem stimmungsvollen Rahmen der Klosterkirche von Benediktbeuern. Aber auch diese Aufführung war nicht ohne Probleme, da wieder ein schweres Gewitter den Beginn verzögerte. Das Publikum harrte geduldig aus und wurde spontan von einem der leitenden Patres des Klosters (Pater Dr. Leo Weber) über die umfangreichen Kunstwerke der Kirche informiert.

Derweil wartete meine große Mannschaft geduldig in der Sakristei und in den angrenzenden Räumen auf den Auftritt. Das war auch für den Komponisten ein großer Streß. Der Film wurde später im Bayerischen Fernsehen gezeigt – natürlich waren manche Bilder nicht mehr so, wie sie vielleicht im Olympia-Teatron hätten sein können, nämlich auf die Dramatik der Textinhalte zugeschnitten.

Einige Zeit danach präsentierte Hans Posegga eine auf großes Orchester erweiterte Fassung, die in zwei Konzerten mit dem Bozener Haydn Orchester in Bozen und Meran aufgeführt wurde.
Während in München stets das Symphonie-Orchester Graunke spielte und der Chor Musici Monacensis (Heinz Schmidtpeter) oder das Augsburger Vokalensemble (Riedl) die Chorpartien übernahmen, mußte nun die neue Fassung mit diversen Südtiroler Chören in der Endphase von Hans Posegga und meiner Person erarbeitet werden.

Wir mußten an mehreren Tagen in verschiedenen Orten zu Proben fahren, wobei Hans Posegga meist Klavier spielte und souverän mit seiner „Riesenpranke“ die komplexen Klänge und komplizierten Facetten des Partitur realisierte, während ich am Pult agierte. Das ging nun über in die Orchestereinstudierung. Bei der Chorarbeit waren freundschaftlich zusammengewachsen, doch in der Berufsarbeit ist Freundschaft manchmal hinderlich, denn die Erarbeitung der neuen großen Fassung war nicht einfach. Die Probleme begannen damit, daß sich das Orchester jede Zahl und jeden Takt ins Italienische übersetzen ließ, obwohl bekanntlich in Südtirol fast jeder Deutsch sprechen kann (ich glaube, daß es sich um eine staatliche Anordnung wegen einheitlicher Sprachregelung in Italien handelte).

Hans Posegga saß rechts vor dem Orchester an einem Tisch mit der Partitur und las sozusagen Korrektur. Jedes Mal wenn ich unterbrechen mußte, weil etwas falsch notiert oder kopiert war (Fehler sind naturgemäß in jeder Neuausgabe von Notenmaterial) mußten wir uns besprechen. Die Musiker gaben nie zu, sich vielleicht verspielt zu haben, sie antworteten stets: „No, no maestro, é scritto!“

Hans Posegga wurde zusehends nervöser, was absolut verständlich war, und das führte dann so weit, daß er in seiner impulsiven, schnell aufbrausenden Art mir „Karajan-Allüren“ attestierte.
Dennoch waren beide Konzerte große Erfolge für den Komponisten, so wie für sämtliche Ausführende.
Übrigens war ein ganz wichtiger Mitarbeiter der ambitionierte Pianist Kurt Wolf, der in aufopfernder Weise sehr viel Notenmaterial von Hans Posegga abgeschrieben, kopiert und geordnet hat, was für diese Neuausgabe von größter Bedeutung war.

Als ich Hans Posegga längere Zeit später in München wieder traf und ihn fragte, ob das Kriegsbeil begraben sei, antwortete er treuherzig: „Mensch, das weiß ich noch nicht,“ und damit war alles wieder in Ordnung. Ich habe bewußt, diese kleine Randepisode geschildert, weil es auch ein wenig den empfindlichen, aber doch stets kommunikativen Hans Posegga schildert.

Es gab dann noch einmal eine Reprise, wieder mit vollkommen neuem Ensemble: für die große Produktion in der Lukas Kirche in München war als Dirigent Cornelius Eberhardt mit seinem hervorragenden AIMS Orchester (aus Graz – American International Music Studies ) vorgesehen. Chöre von Augsburg bis Altötting waren eingeteilt.

Ziemlich gegen Ende der Einstudierungsphase ist den Verantwortlichen ddoch die Schwierigkeit des Unternehmens klar geworden, Cornelius Eberhardt stieg aus, und so wurde mir in letzter Minute sozusagen, die chorische Gesamtverantwortung übergeben, was letztendlich dazu führte, daß mir auch das Dirigat übertragen wurde. Auf diese Weise habe ich auch ein Mal das höchst präzise arbeitende junge amerikanische Orchester von Cornelius Eberhardt leiten dürfen, das ich bei meiner dreijährigen Mitarbeit bei AIMS oft gehört hatte.

Wenn ich bedenke, wie problembehaftet jede Produktion war, kann ich nur staunen, daß Hans Posegga nie die Nerven verloren hat. und somit auch bei dieser bisher letzten Aufführung einen großen persönlichen Erfolg erleben konnte.

Außerdem erscheint es mir wichtig und unbedingt erwähnenswert, daß Frau Mella Gentner vom Bayerischen Volksbildungsverband ein großer Mentor des Komponisten war und natürlich für die organisatorische Durchführung, sowie für alle Vorbereitungen von zentraler Bedeutung war.
In Italien (Bozen und Meran) war es der unermüdliche Karl Margraf. Auch den treuen Peter Lang möchte ich nicht vergessen, der stets gewissenhat und unter den verschiedensten akustischen Bedingungen die Toneinspielungen betreute.

Rückblickend stelle ich fest, welch große Bedeutung die Zusammenarbeit mit Hans Posegga in meinem Leben gespielt hat, desgleichen mit den vielen Beteiligten.

„Ein grandioses Welttheater, in dem der Gedanke der Vernichtung und der Erlösung, der Niedrigkeit des Menschen, die Furcht vor Hölle und Tod, der Gedanke der Verlassenheit und die Hoffnung und der überwältigende Lobpreis Gottes ein exemplarisches Denkmal erfahren.“

Süddeutsche Zeitung München zur Uraufführung am 31. Mai 1981 in der Basilika zu Benediktbeuern.

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