Musikunterricht bei Jacques Thibaud und Alfred Cortôt

PARIS

(von Hans Posegga)

Bei allem Abscheu, den ich gegen meine Militärzeit empfand, muß ich dennoch bekennen, dass mir der Umstand während einiger Jahre in Abständen immer wieder in Paris sein zu dürfen, wo mir alle erdenklichen Vorteile für meine musikalische Weiterbildung zur Verfügung standen, besondere Freude bereitete. Viele von den großen französischen Künstlern durfte ich kennen lernen.  Da war Tasso Janopoulo, ein Pianist von Weltrang, ständiger Begleiter von Jacques Thibaud, der auch mit Fritz Kreisler viele Male in Amerika aufgetreten war. Von ihm lernte ich eine Menge von Begleitertricks.
Dann war da noch der Pianist Jules Gentil, der die Vorbereitungsklasse für Alfred Cortôt ’s Meisterklasse hielt. So hatte ich das große Glück, an Alfred Cortôt’s Kursen teilnehmen zu dürfen, die an der Ecole Normale de Musique stattfanden.
Da mein Freund Eduard Drolc, der nach dem Krieg ein berühmter Geiger geworden ist und mit mir gemeinsam den „Dienst am Vaterland“ verrichtete, den Wunsch hatte, Jacques Thibaud kennen zu lernen, um bei ihm zu studieren, durfte ich bei den Lektionen die Rolle des Dolmetschers spielen.

Jacques Thibaud

„Das kostet sie nichts“, sagte Jacques Thibaud und er schien dabei etwas geistesabwesend. Nachdenklich blieb er stehen. Ein Honorar von Soldaten zu akzeptieren sei ihm unmöglich. Wir schlenderten zu dritt – Thibaud, Eddie Drolc und ich durch den Bois de Boulogne an einem herrlichen Sommernachmittag des Jahres 1941 in Paris. Es war eine wohl damals eigenartige Situation. Deutschland hatte Frankreich überfallen und Paris eingenommen und hier flanierten zwei junge Deutsche zur Zeit Angehörige des Stabsmusikkorps der Luftflotte schier sorglos Seite an Seite mit Jacques Thibaud, einem der größten Geiger der Welt freundschaftlich durch einen Pariser Park. „Sie müssen wissen“, fuhr der Meister fort, „ich hatte zwei  Söhne, beide sind in diesem schrecklichen Krieg gegen die Deutschen gefallen. Was ich für Sie tue, das tue ich für meine Söhne. Darum bitte ich Sie, mein Angebot anzunehmen. Außerdem haben Sie beide Talent für Musik. Und noch eines: wir wollen alle daran glauben, dass die Kunst der Musik die Völker verbinden kann.“
Wir bedankten uns betroffen. Seine Auffassung und sein Großmut hatten uns tief beeindruckt. Dass es für uns zwei junge Menschen, wie Eddie als Geiger und mich als Pianist eine Ehre und zugleich ein Riesenansporn war, sich der Gunst des größten französischen Geigers erfreuen zu dürfen, stand außer Zweifel. Wir setzten alles daran, um unseren neuen Lehrer nicht zu enttäuschen und wollten von ihm so viel lernen, wie es in dieser Zeit der Unruhen und Unsicherheit überhaupt möglich war. Jacques Thibaud starb im Jahre 1949 im Alter von 73 Jahren bei einem Flugzeugabsturz bei Barcelonette in den französischen Seealpen.

In meiner Eigenschaft als Pianist nahm ich an der Thibaud’schen Kammermusikklasse teil, wo ich auch dem jungen Geiger Gaëtan Détaille kennen lernte, der von dem Exsultan der Türkei Abdul Hamed II, der in Paris als Refugié lebte, gesponsert wurde. Da war dann noch Pierre Fournier, der große Cellist, bei dem ich mit Adolf Schmidt (späterer Solo-Cellist an der Staatsoper München) als Dolmetscher und Pianist diente. Wenn Thibaud auf Reisen ging, sorgte er gewöhnlich für Ersatzlehrer. Da wäre als erster zu nennen M. Touche, Vizepräsident des Conservatoire, aber auch Gabriel Bouillon, ein damals sehr geschätzter Quartett Primarius oder Jules Gentil. Die Vergleichsmöglichkeiten waren immens und die Anknüpfungspunkte gingen später in gute Kontakte nach dem Kriege über. Dass die Amerikaner in dieser Zeit Bomben auf Paris abwerfen konnten, wird mir ewig unerfindlich bleiben, da sie doch gemeinsam dem Atlantikpakt angehörten.

Wir wurden immer wieder nach Paris verlegt, weil wir das Stabsmusikcorps der Luftflotte 3 und dem Generalfeldmarschall Sperrle unterstellt waren. Wir waren sozusagen für seine persönliche Gloriole zuständig. Seine Residenz hatte er im Palais Luxembourg im Quartier Latin, angrenzend an der Boulevard St. Michel. Gleich dort am Boulevard St. Michel war eine Eisenbahn- und Metrostation, wo ich manchmal in einen Zug nach Anthony stieg (wo heute ein großes Universitätszentrum ist), um dort Bekannte zu besuchen, die Schwestern Niestlé.

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