Der Blitz-Komponierer

Bild: Im Studio im WDR Hans Posegga am Klavier neben ihm Robert Berres der Aufnahmeleiter und Peter René Körner stehend und die Musiker Klaus und Theo Morschel.

Armin Maiwald erinnert sich an die Zusammenarbeit bei „Kasper und René“:

Es war zur Fernseh-Steinzeit, so etwa 1962/63. Ich war ganz junger Regie-Assistent, Peter Podehl war der Regisseur, mein Chef. Wir machten ‚Märchenraten mit Kasper und René’.
Die heutigen Aufzeichnungs- und Bearbeitungsmöglichkeiten gab es noch lange nicht, Fernsehen war – selbstverständlich – noch schwarz / weiß und es gab auch nur ein Programm.

Insofern waren auch die Produktionsmethoden im Studio völlig anders und mit den heutigen nicht zu vergleichen. Vieles musste ‚live’ gemacht werden, oder, wo nicht sofort gesendet wurde, ‚quasi wie live’ aufgezeichnet werden, weil man die Aufzeichnungsbänder nicht so ohne weiteres schneiden konnte.

Wenn also bei einer Produktion Musik gebraucht wurde, hatte man häufig lebendige Musiker im Studio, die zur entsprechenden Situation die gewünschte Musik einspielten. Manchmal nur einen Auftritts-‚Tusch’, manchmal nur wenige Takte, die eine bestimmte Stimmung transportierten, manchmal aber auch richtige kleine ‚Stücke’.

Während der Ablauf der jeweiligen Sendung dann immer und immer wieder geprobt wurde,  fast wie beim Theater – probierten die Musiker mit. Und nicht selten sagte Peter Podehl dann: Ach, hier an dieser Stelle wäre es noch schön, wenn wir eine Musik hätten.

So auch häufig beim ‚Märchenraten’.
Dabei lernte ich Hans kennen. Er war der Komponist und hatte rund um sich herum noch drei Musiker: einen Schlagzeuger, einen Bassisten, – der auch Gitarre spielte, – und einen, der alle möglichen Blasinstrumente spielen konnte. Hans selbst saß immer am Piano.

Hans war der absolute Blitz-Komponierer: Er schüttelte die Melodien nur so aus dem Ärmel, und was er da mit seinen drei Männeken machte klang immer gut.

An eine Geschichte erinnere ich mich noch sehr gut: Es war wie immer, wir wa-ren unter Zeitdruck, es sollte aufgezeichnet werden. Peter Podehl wollte an einer bestimmten Stelle noch ein paar Takte Musik.

Die Magnetaufzeichnung lief schon und wurde gepegelt. Dieser Vorgang dauer-te etwa eine Minute, dann noch 30 Sekunden ‚Schwarz’ dann Aufblende. Podehl fragte Hans, ob wir die Magnetaufzeichnung noch mal anhalten sollten, damit er ein paar Minuten Zeit hätte, die Noten aufzuschreiben.

Hans zurück: „Nein, nein, lasst laufen“.
Und dann gab er folgende Anweisung an seine Musiker, dem Schlagzeuger:
„Du spielst 8 Takte Küche Stube“, dem Bassisten: „Du machst 6 Takte C – F und die letzten 2 C-F-G-C“, dem Flötisten: „Du machst auf jeder ‚Drei’ einen Akzent und ich geh mit dem Piano rein“.

Nun hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt auch schon alles Mögliche an Musik mit Hans erlebt, aber aus dieser Anweisung wurde ich nun überhaupt nicht schlau, war gespannt, was dabei für eine Musik rauskommen würde und vor allen Din-gen, wie das klingen würde. Zumal die ganze Absprache keine 10 Sekunden gedauert hatte, von ‚Noten schreiben’ war nicht mal ansatzweise die Rede. Alle nickten, dann herrschte an-gespannte Stille, wie immer vor Aufzeichnungen. Natürlich passte es, natürlich klang es gut. Wie immer, müsste ich eigentlich sagen.
Als dann wieder mal eine ruhige Minute war, bin ich zu ihm hin, und hab ihn gefragt: Sag mal, was hast Du da mit deinen Musikern verabredet, und was bedeutet ‚Küche, Stube’?

Er grinst in seiner unnachahmlichen Art und sagt, ist doch klar: Acht Takte im 4/4 Takt, mit der Betonung jeweils auf der ‚1’ und der ‚3’. Sind doch vier Silben Kü – che – Stu – be.
Und weil bei der Küche die erste Silbe betont wird und beim Wort Stube auch, ist das ein typischer jazziger 4/4 Takt.

Wenn Du’s richtig sprichst, merkst Du’s selber. Dann machte er es vor:

Kü-che-Stu-be, Kü-che-Stu-be.

Und den Rest kannst Du Dir ja denken: Tonart – Fröhliches C-Dur. Und wenn die Flöte auf der ‚3’ immer einen Akzent macht, dann schaukelt das so schön.
Ja, und dann hab ich mit dem Klavier nur noch’n paar Töne dazwischengesetzt. Eigentlich ganz einfach.

Es gibt solche Erinnerungs-‚Fenster’ , – kleine Zeiteinheiten – die man nie vergisst.
Immer wenn ich Hans später sah oder an ihn dachte, war sofort ‚Küche Stube’ wieder da.

Armin Maiwald

18.6.2002

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